Deutsches Theater Almaty

 

Geschichte

Vortrag, gehalten anläßlich der Tagung der Thalia Germanica
(THALIA GERMANICA: Research Society for German Theatre Abroad)
in Blankenburg, Herbst '97




Ich erlaube mir, Ihnen zunächst chronologisch die Geschichte der Deutschen Theaters, der Theater der deutschen Minderheit in der ehemaligen SU, der Theaters der Rußlanddeutschen, aus Zeitgründen in Stichpunkten vorzustellen, und mit einigen Kommentaren abzuschließen.
Genaugenommen handelt es sich um drei Theater, die Theater dreier Generationen dieses Jahrhunderts.


1930

RUSSLANDDEUTSCHES THEATER #1

Beginnen wir im Jahr 1930

Gründung des ersten Theaters der Rußlanddeutschen in Engels, der Hauptstadt der autonomen deutschen Republik an der Wolga. Das Ensemble dieses staatlichen Theaters setzte sich aus Laienschauspielern aus verschiedenen rußlanddeutschen Siedlungen zusammen.
Erwin Piscator, der anreist um einen Film über die Wolgarepublik zu drehen, aüßert sich negativ über intellektuelles Niveau, Sprach- und schauspielerische Kompetenz der Truppe, möchte sich jedoch am Aufbau eines deutschen politischen Theaters beteiligen.


1936

Die gesamte Truppe reist zu einer Fortbildung nach Moskau an das 'Mali Theatr'. Die Schauspieler sprachen jeweils verschiedene deutsche Dialekte und auch in der Regel mäßig Russisch. Bei der Abreise aus Moskau erhält das Theater aus dem Kostümfundus des 'Mali Theatr' sehr schön gearbeitete Kostüme, die teilweise heute noch im Gebrauch sind bzw sich im Fundus unseres Theaters befinden. Neben Auftritten im Theater in Engels finden Propagandaeinsätze während der Erntearbeiten statt.

Im Repertoire sind u.a. die Stücke rußlanddeutscher Autoren: 'Wir selbst', 'Heimatliche Weiten', 'Der eigene Herd' (Andreas Sachs).


1939
Theaterbrand. Das Theater ist ohne Unterkunft.
Aus den autonomen deutschen Raionen (Landkreisen) in der Nähe von Tiiblissi, Odessa und Dnjepropetrowsk ist die Existenz von deutschen Laientheatergruppen überliefert, die sich fortbilden und austauschen möchten.


1941

August: Schließung des Theaters. Auflösung der Wolgarepublik.
Deportation aller Deutschen nach Sibirien und Kasachstan. Rußlanddeutschen wird der Zugang zu Hochschulbildung wenn überhaupt nur unter großen Erschwernissen ermöglicht, in deutschen Siedlungen werden zwar etwa sieben verschiedene deutsche Dialekte gesprochen, muttersprachlicher Deutschunterricht findet jedoch noch lange Jahre nicht mehr in den Schulen statt.
Wie andere nationale Minderheiten werden Deutsche unter 'Kommandantur' gestellt, d.h. ihre Mobilität wird rigoros eingeschränkt: Ohne schriftliche Genehmigung des Landkreis-Kommandanten, bei dem sich jeder Rußlanddeutsche in regelmäßigen Abständen rückmelden muß, darf nicht mal das eigene Dorf verlassen werden.


1955

Entlassung der überlebenden, zerstreut lebenden Ensemblemitglieder aus der 'Arbeitsarmee' mit der Auflösung der Arbeitsarmee. Noch Jahrzehnte werden Rußlanddeutsche völlig zu Unrecht mit dem Vorwurf 'Nazis, Faschisten, Kollaborateure' konfrontiert werden.


1961,
1965

Erste und zweite Delegation der Rußlanddeutschen reist unter großen Erschwernissen nach Moskau und trägt im Kreml ihre Rehabilitationsforderungen vor. Es muß heute davon ausgegangen werden, daß mehr als die Häfte der Delegationsmitglieder KGB Zuarbeiter waren. Einer der Punkte aus dem Forderungskatalog ist die Neugründung eines deutschen Theaters.


1975

Gründung einer deutschen Schauspielklasse an der Schtschepkin-Theaterhochschule in Moskau. Der Unterricht findet überwiegend in russischer Sprache statt, die Deutsche Sprache wird als intensive Fremdsprache unterrichtet. Die Studenten sprechen Dialekt und kommen aus Westsibirien, dem Altai und aus Kasachstan.


1976
Aufnahmeprüfungen für eine zweite Klasse.

1980

 
DEUTSCHES THEATER #2

Abschlüsse der Schauspielstudenten in Moskau.
Eröffnung des 'Republikanischen Deutschen Schauspieltheaters' in Temirtau bei Karaganda am 26. Dezember 1980 mit 'Die Ersten' von Alexander Reimgen. Das Theater wurde mit einem eigenen Haus, dem ehemaligen 'Kulturpalast der Metallurgen', mit einem Stellenplan von über 150 Stellen, Werkstätten, Fuhrpark und Infrastruktur ausgestattet. Das Schauspielensemble besteht aus ca. 40 Absolventen der Moskauer Schauspielschule.
Das Ensemble beginnt sich in die kaum zugängliche und ängstlich verschwiegene Geschichte der Rußlanddeutschen einzuarbeiten.


1987

Erste Kooperationskontakte in die DDR.
Teilnahme an einer Konferenz über Minderheitentheater am deutsch-sorbischen Theater in Bautzen, dem einzigen staatlichen Minderheitentheater in der DDR Inszenierung 'Der zerbrochene Krug' in Temirtau durch den ehemaligen Intendanten des Bautzener Theaters, Jörg Liljeberg.


1980-
1981

Zahlreiche Gastspielreisen in die wesentlichen Siedlungsgebiete der Rußlanddeutschen.
Bereits das selbstbewußte deutsche Sprechen auf der Bühne stellt vor dem Hintergrund jahrzehntelanger sprachlicher und kultureller Unterdrückung eine emanzipatorische Aktion dar. Das Theater ist der wesentliche Kulturrepräsentant der Rußlanddeutschen. Das Ensemble wird zum Vorreiter der 'Wiedergeburts-Bewegung', die sich die Wiederherstellung der autonomen deutschen Republik an der Wolga zum Ziel setzt.

Aufbau eines Repertoires, das folgende Bereiche umfasst:
1. Brauchtumspflege: Pflege speziell rußlanddeutschen und deutschen Brauchtums wie Volkslied, Volkstanz und jahreszeitlicher Bräuche, Hochzeitsfeiern etc.
2. Deutsche Dramatiker. Schwerpunkt Klassik, aber auch Gegenwartsautoren.
3. Rußlanddeutsche Autoren, die die Geschichte der Rußlanddeutschen dramatisierten.
4. Russische Autoren in deutscher Sprache.

1989
Das Ensemble wird zu einer Fortbildung in die BRD (Ulm und München) eingeladen.
Eine Zuammenarbeit in der Schauspielaubildung wird vereinbart.


1990

Das Theater zieht aus Temirtau nach Alma-Ata, in die (damalige) Hauptstadt der Kasachischen Sowjetrepublik.
Dort bekommen die Schauspieler zwar für sowjetische Verhältnisse gute Wohnungen in einem Neubaugebiet am Stadtrand, das Theater selbst bekommt jedoch kein eigenes Gebäude, sondern darf lediglich einen zentrumsfernen 'Kulturpalast' mitbenutzen. Die Produktionsmöglichkeiten sind somit sehr eingeschränkt.
Das Müncher Residenztheater, damals unter der Intendanz von Herrn Beelitz tritt mit seinen Räubern in Almaty auf. Eine Gastregie der damals noch gar nicht so bekannten Amelie Niermeyer wird vereinbart.
Das Deutsche Theater ist am 3. Oktober 1990 auf Gastspielreise in der BRD, in Bautzen. Nach der Fahrt von Ulm nach Bautzen, quer durch die euphorische taumelnde vereinigungstrunkene BRD, sehe ich die erste Aufführung des deutschen Theaters: 'F.X. Kroetz' Wunschkonzert.
Jelzin tritt betrunken vor die Kameras des sowjetischen Fernsehens und spricht sich kategorisch gegen eine erneute Autonomie der Deutschen an der Wolga aus. Das sowjetische Imperium zerfällt. Die allgemeine Ausreisewelle der Rußlanddeutschen beginnt. Auch die ersten Ensemblemitglieder entschließen sich zur Ausreise in die BRD.


1991

Amelie Niermeyer inszeniert Goethes 'Die Launes der Verliebten' in Almaty. Sie unterbricht die Inszenierung um ein halbes Jahr, aus organisatorischen und personellen Schwierigkeiten.
Das Theater erwirbt ein zentraler gelegenes, kleines Kino als Studiobühne. Klein aber eigen. Es fasst max. 100 Zuschauer, besitzt minimale technische Möglichkeiten. Keine Probebühnen. Keine Werkstätten.
Meinen geplanten Umzug nach Kasachstan zur Gründung der Deutschen Theaterakademie verschiebe ich um ein Vierteljahr, als Gorbatschows Arrestierung auf der Krim die ungeahnte Führungslosigkeit der Weltmacht Sojetunion offenbart. Ankunft in Kasachstan im November '97.
Auf der Konferenz der sowjetischen Parteivorsitzenden in Alma-Ata im Dezember '97 wird die Auflösung der Sowjetunion beschlossen. Gorbatschow erklärt im Fernsehen seinen Rücktritt als Parteivorsitzender.
Die Schauspieler des Deutschen Theaters diskutieren diese Prozesse bereits kaum mehr. Sie sind innerlich bereits zur Ausreise entschlossen, auch wenn sie nach außen hin noch das Gegenteil behaupten.
Die Rußlanddeutschen leben plötzlich in drei verschiedenen souveränen Staaten: Der Ukraine, Rußland und in Kasachstan. In Kasachstan leben zu diesem Zeitpunkt noch etwa eine Million nun 'Kasachstaner Deutsche'. Sie leben überwiegend im Norden der Republik, in Dörfern, in denen Rußlanddeutsche einen Großteil oder sogar die Mehrheit der Einwohnerschaft stellen. Trotzdem werden nur noch in wenigen Dörfern rußlanddeutsche Dialekte gesprochen. Wo das der Fall ist, ist es der vor Kriegsausbruch geborene Teil der Bevölkerung, der noch aktiv spricht. Passiv verstehen deren Kinder noch die Sprache.
Die Enkel, die heute etwa dreißigjährigen also, sprechen sie bereits nicht mehr. Gewiß gibt es Ausnahmen, ich spreche hier von einer mehrheitlichen Tendenz. Der Großteil der Rußlanddeutschen arbeitet auf dem Land, hat die sowjetische Standard-Bildungspflicht erfüllt, also eine zehnjärige mittlere Schulbildung erhalten. Die dünne intellektuelle Schicht der Rußlanddeutschen setzt sich aus den Absolventen der pädagischen Fachhochschulen zusammen, die die als Muttersprache empfundene bzw. angesehene deutsche Sprache sozusagen aus archäologischen Erinnerungsfundstücken sowie aus dem Studium der Deutschen Sprache als Fremdsprache wieder- bzw. neu erworben haben.
Ich erwähne das alles, um Ihnen ein Bild zu geben von dem kulturellen Umfeld, dem Publikum des Deutschen Theaters.


1992

Auf Reisen durch die Siedlungsgebiete der Rußlanddeutschen in der gesamten Ex-SU entsteht das gleiche Bild: Alle möchten in die BRD ausreisen, lieber heute als morgen, egal unter welchen Bedingungen. Die Bundesregierung beginnt umfangreiche Maßnahmen zur Hilfe für die Rußlanddeutschen vor Ort. noch ist nicht gewiß, in wellchem Umfang diese Ausreise stattfinden wird, wie sich die politischen Weichen sowohl in der BRD als auch in den Nachfolgestaaten der SU dazu gestellt werden.
Im Herbst '92 nimmt die Deutsche Theaterakademie in Almaty mit 25 Studenten ihre Unterrichtstätigkeit auf. Unterichtet wird von Dozenten aus der BRD und von lokalen Lehrkräften.


1992-
1996
 
DEUTSCHES THEATER #3

Im Sommer '93 trete ich im Dissens mit dem Projektträger in der BRD, einer privaten deutschen Schauspielschule, von der Leitung der Deutschen Theaterakademie zurück.
Ein Interimsleiter vollzieht nach mir denselben Schritt, ein weiterer Interimsleiter wird auf Bitten des kasachstanischen Kulturministeriums und der Deutschen Botschaft Almaty entlassen. Eine dritte Interimsleiterin, Kasachin, theaterpädagogisch sehr kompetent, jedoch der deutschen Sprache nicht mächtig übernimmt die Leitung der Akademie, beginnt die Studenten des mittlerweile aufgenommenen 2. Kurses in russischer Sprache für ein russisches Theater auszubilden. Zwischen ihr und der neuen, engagierten russischen Leiterin des Theaters, entstehen Unversöhnlichkeiten, die die Truppe spalten, die im Moment nur noch aus den Studenten des 1. und des 3. Kurses besteht.
Im Januar 1996 wird auf meine Bitte hin dem Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen (ifa-Institut) die Betreuung des Projektes überantwortet, das mich wiederum beauftragt, das Projekt weiter zu leiten. Der Kultusminister der Republik Kasachstan ernennt mich gleichzeitig zum künstlerischen Leiter des Deutschen Theaters.
Inzwischen hat das gesamte ehemalige Ensemble mit einer Ausnahme das Land verlassen und lebt in der BRD. Der ehemalige Direktor hat das Theater mit Schulden hinterlassen und Zuschüsse für Gastspielreisen in die eigene Tasche gewirtschaftet.
Als Irina Plisko und ich starten, hat das Theater ein armseliges Gebäude, ca. 20 Studenten, hatte nach einem halben Jahr Probezeit Scapinos Gaunerstreiche (Moliere) auf die Bühne gebracht, die meisten der Studenten (13) sind Frauen, zwei der sieben männlichen Studenten sehen sich eher als Regisseure denn als Schauspieler.


Heute

Die Studenten des ersten Kurses haben im Juli1996 ihr Diplom erhalten.
Die Studenten des zweiten Kurses haben im Juli1998 ihr Diplom mit dem Stück Glücksfelder erhalten. Sie arbeiten voll am Theater mit. In dieser Spielzeit wurden zehn Schauspiel-Premieren (!) gefeiert, eine hohe Zahl von Inszenierungen in Anbetracht der Tatsache, daß das Theater nicht einmal Probenräume besitzt, kein Zimmer für den künstlerischen Leiter, keinen Dramaturgen, keine eigenen Werkstätten...

Schauspieler reisen nach Deutschland aus. Ersatz finden wir nur, indem wir selbst Nachwuchs ausbilden. Die nächsten deutschsprachigen Schauspieler leben in der BRD, Luftlinie 6000 km entfernt. In Almaty und Gebiet leben heute ca. 3000 Kasachstaner Deutsche. Im Norden der Republik leben heute noch ca. 250.000. Fast alle möchten gehen. Wir haben es weit zu diesen Zuschauern: ca. 2000 km. Solche Gastspielreisen und deren Vorbereitung werfen hohe Kosten auf und sind mit großem organisatorischen Aufwand verbunden.

Die kasachstanische Regierung streicht weiter radikal die staatlichen Zuschüsse. Nach dem Umzug der Hauptstadt von Almaty nach Akmola werden in Almaty durchgängig die ohnehin viel zu knappen Mittel gestrichen.

Mit der Ausreise des rußlanddeutschen Publikums nehmen auch die Zuschüsse des Auswärtigen Amtes der BRD ab, unabhängig davon ob die künstlerische Qualität der Theaterarbeit interessant ist oder nicht.

Vor dem Hintergrund dieser Probleme machen wir unser Theater. Wie lange gelingt es noch?

 

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