Deutsches Theater Almaty

 

Juni 1999, Brief von Hans Koritke
Juni 1999, NRZ
Juni 1999, Brief von Helmut Schäfer
Mai 1999, Woche junger Schauspieler, Bensheim

 


 

Brief
von Hans Koritke

Betreff:Glücksfelder sind Glückstreffer
 

Datum: 11.06.1999 05:39
 
Hallo,
 
herzlichen Glueckwunsch zu Ihrer gelungenen Auffuehrung von 'Gluecksfelder'!
 
Nach einem kurzen Besuch in Almaty im April und einem langen Aufenthalt bei meinem in Bischkek lebenden Sohn wollte ich die teils schoene, teils schlechte Erinnerung an das exotische Zentralasien auffrischen. Den Anstoss dazu gab die Stuttgarter Zeitung mit einem Hinweis, dass Ihr Theater in Stuttgart gastiere.
 
So war ich vorgestern in der letzten Affuehrung von 'Gluecksfelder' im Wilhelma Theater und war begeistert. Die 7 jungen Frauen und der junge Mann spielten hinreissend gut! Ich war fasziniert von den so sehr unterschiedlichen und gut herausgearbeiteten Frauentypen, den grotsken und absurden Situationen (Erinnerung an Central Asia!), dem originellen Text, den flotten Ballettszenen (wunderbar in 'Springerstiefeln' getanzt) und den absolut verrueckten Kostuemen. Waere ich nicht schon gluecklich verheiratet, verliebte ich mich spontan in die Frau mit den 'kuenstlichen' Gliedmassen. Ich weiss leider Ihren Rollennamen nicht mehr. Aber auch die anderen Frauen waren zum Verlieben schoen!!!
 
Fuer mich ist Ihr Theater auch ein Zeichen der Hoffnung in dem sonst wirtschaftlich deprimierenden Zentral Asien. Wo ein so wunderbares Theater wie Ihres existieren kann, ist es um das 'Glueck' der Menschen wahrschienlich doch besser bestellt, als es zunaechst aussieht. Meine Analyse der gesellschaftlichen Situation basiert natuerlich auf unserem recht hohen Wohlstand. Allerdings halte ich unseren Lebensstil mit dem irrsinnig hohen Konsum fuer sehr, sehr fragwuerdig. Schade nur, dass es immer schlimmer wird. Und da setzt Ihr Stueck die richtigen Akzente!
 
Weiter so und viel Erfolg und Glueckstreffer!
 
Wo gastiert Ihr Theater noch in Deutschland und wird es auch eine Auffuehrung in Bischkek geben, die ich meinem Sohn empfehlen kann?
 
Mit freundlichn Gruessen Hans Koritke

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NRZ vom 7 Juni 1999
von ChH

Sein oder Nichtsein in Kasachstan
"Glücksfelder": zwei Studen pralles, professionelles Theater
"Deutsches Theater Almaty" gastierte im Raffelberger Theater

 

Die recht unterschiedlichen Schicksale von sieben jungen Frauen stellte das "Deutsche Theater Almaty" im Theater an der Ruhr im Raffelberg vor.
"Glücksfelder" nannte Autorin und Regisseurin Ingrid Lausund ihr Stück, das auf eindringliche Weise Spaß und bitteren Ernst miteinander verbindet. Auf einfacher Bühne mit nur wenigen trefflich ausgesuchten Requisiten werden die geheimen Wünsche und Leiden der Frauen aus Kasachstan in zahlreichen, oft improvisiert wirkenden Szenen aufgezeigt. Es geht nicht nur darum, wie man den idealen Ehemann ergattert oder möglichst günstig auf dem Markt einkauft – solche köstlichen Szenen dienen immer wieder der Auflockerung für Zuschauer und Schauspieler. Es geht auch um die abenteuerlichen Mißstände in dem fernen asiatischen Land ("Der Fortschritt kommt auch mal nach Kasachstan"!?), bedrückend makaber dargestellt in der Notaufnahme eines Krankenhauses.
Vor allem erreichen die in bewundernswert gutem Deutsch agierenden Schauspielerinnen durch eine sehr prägnante Charakterisierung, daß die inneren Nöte und Sehnsüchte der Menschen präsent und glaubwürdig werden. Es gibt kaum konkrete Hoffnung auf eine Besserung ihrer dürftigen Alltagssituation, so daß den Frauen nur Träume bleiben.
Symbolhaft dafür taucht immer wieder für kurze Zeit Musik aus "Schwanensee" auf, bei der die Frauen geradezu verzückt den sterbenden Schwan mimen, zum Teil auf groteske Weise. "Glücksfelder" – die sind doch sehr selten, zumal der Tod als Moderator allgegenwärtig ist.
Für zwei Stunden pralles, professionell gemachtes Theater, das unterhaltsam und bedrückend zugleich war, gab es dann auch begeisterten Beifall der zahlreich erschienenen Besucher.

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Brief
Theater an der Ruhr

von Helmut Schäfer
Künstlerische Leitung

Theater an der Ruhr GmbH
Akazienallee 61
45478 Mülheim an der Ruhr

 

10.06.1999
 
Deutsches Theater Almaty
Herrn Freitag
 
Sehr geehrter Herr Freitag,
 
für das Gastspiel aus Almaty "Glücksfelder" möchte ich mich nochmals herzlichst bedanken. Es war überraschend, von welch großer Qualität diese Aufführung der dortigen Schauspielschüler gewesen ist und ein Hinweis darauf, wie wenig wir über die künstlerischen Bewegungen in Kasachstan doch wissen. Diese Aufführung, die so liebevoll die Gegenwart dieses Landes beschreibt, macht neugierig mehr darüber zu erfahren.
 
Ich denke, daß man mit einem Gastspiel nichts besseres über Kasachstan erreichen kann als so viel Interesse zu erwecken.
 
Mit besten Grüßen,
 
Helmut Schäfer Künstlerische Leitung

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Mai 1999, Woche junger Schauspieler, Bensheim
von rol

Sein oder Nichtsein in Kasachstan
Woche junger Schauspieler: Aufführung der "Glücksfelder" mit Begeisterung aufgenommen
 

Bensheim. Sieben Schirme, sieben Mädchen, dazu der Tod als Transvestit im Rüschenrock und Uniformmütze– das sind Requisiten und Personal in Ingrid Lausunds Stück "Glücksfelder". Die junge Truppe des Deutschen Theaters Almaty wird auf ihrer Tournee durch Deutschland, Holland und die Schweiz von einer Welle der Sympathie getragen. Mit ihrem Auftritt beim Treffen der Schauspielschulen im vorigen Jahr in München erregten sie soviel Aufsehen, daß eine zweimonatige Tour durch Deutschland, Holland und die Schweiz zustande kam.
46 Aufführungen an 30 Orten innerhalb von zwei Monaten sind ein gewaltiges Pensum. Doch wer die Truppe am Donnerstag morgen oder Samstag abend vor jeweils vollbesetztem Parkett in Aktion erlebt hat, zweifelt nicht daran, daß sie es schaffen wird. Da steckt genug Power, Motivation und Spielfreude in den Darstellern, nach der Isolation im fernen Kasachstan beflügelt vom bisweilen emphatischen Zuspruch des ungewohnten westlichen Publikums.
Die beiden ersten Beiträge zur "Woche junger Schauspieler"– "Yard Girl" und "Rattenjagd"– demonstrierten exzellentes Schauspielertheater. "Glücksfelder" schließt sich dem an, gibt dem Begriff aber eine andere, neue Dimension. Denn das, was die Darsteller spielen, spiegelt tatsächlich ihre ureigensten Lebenserfahrungen. Keiner muß sich Figuren erarbeiten, die ihm fremd sind, muß sich in eine soziale Wirklichkeit einfühlen, mit der er nichts zu tun hat.
Das schafft eine Atmosphäre von Authentizität, welche die gewohnten künstlichen Kontruktionen des zeitgenössischen Theaters wenigstens für diesmal hinter sich läßt. Um was es hier geht ist substantiell und existenziell, kein Ausfluß einer Überfluß- und Überdrußgesellschaft, sondern Ausdruck von Lebenslust, die sich unter trostlosen materiellen und politischen Verhältnissen behaupten muß. Andere Stückeschreiber und Regisseure hätten aus dem Thema ein graues Sozialdrama gemacht, nicht so Ingrid Lausund, die auch selbst Regie geführt hat.
"Glücksfelder"– der Titel ist einer populären russischen Fernsehshow entlehnt–ist eine höchst unterhaltsame Farce mit einer Fülle von Lachnummern, voller Ironie, Selbstironie und Kuriositäten. Es enthält viele Elemente aus dem Showbereich, Sketche, Gesangsnummern, Tanzszenen, Clownerie, Comedy, Quiz, Conférence, etc. Doch immer, wenn es am lustigsten ist, schlägt die Stimmung von hier auf jetzt um, bleibt das Lachen im Halse stecken. Sarkastisch und lapidar bringt man dem Zuschauer für kurze Momente zu Bewußtsein, daß der Spaß auf der Bühne im realen Leben so spaßig nicht ist.
Die Conférence oder auch Regie in dieser Nummernrevue hat der Tod, ein mephistophelischer Entertainer, der die Fäden der Schicksale in der Hand hält, weil ihm das niemand streitig macht. Erst mit seiner Autorität kommen die Figuren in Gang, raffen sich lustlos auf. "Sein oder Nichtsein"– das ist hier die Frage" zitiert der Tod Hamlet– und die Puppen tanzen, weil ihnen "endlich jemand sagt, was wir tun sollen". Zu Sinatras "New York, New York" schwingen sie die Hüften mit verbissenem Ernst, während der Tod den professionellen Revue-Vorturner abgibt.
Dann lernt man sie alle kennen, die Mädchen mit ihren Wünschen und Hoffnungen, ihrem Durst nach Leben und Liebe, ihren Verletzungen. Nahtlos wechselt die Truppe vom Cabaret ins absurde Theater, wie dann überhaupt die rasanten Wechsel der Darstellungsformen und Stimmungen diesen zweieinhalbstündigen Theaterabend zu keinem Zeitpunkt langweilig machen, auch wenn der zweite Teil mit dem ersten nicht ganz mithalten kann. Da gibt es die junge Frau, deren Ausreiseantrag abgelehnt wird, weil ihr partout das deutsche Wort Herbst nicht einfallen will. Eine andere hat sich geschworen, aus Solidarität mit einer durch einen Autounfall verkrüppelten Freundin, eines ihrer Beine nicht mehr zu benutzen, solange, bis soziale Gerechtigkeit im Lande eingekehrt ist. Einer dritten will man den Mercedes wegnehmen; um das zu verhindern, ißt sie ihn Stück für Stück auf. Keinen Umsatz hat eine Ladeninhaberin, die sich mit Phantasien die Zeit vertreibt. Eine Tänzerin will den sterbenden Schwan tanzen, fühlt sich aber nur als tanzende Ente.
Ein Bravourstückchen temperamentvoller, vollblütiger Schauspielkunst lieferte Arina Tschestnowa als kopftuchtragende Kartoffelschälerin, deren Wortkaskaden in unverfälschtem Wolgadeutsch-Donauschwäbisch hervorsprudelten.
Großartig die mit ungeheurem Elan dargebotene Bewegungsstudie von Larissa Iwlewa. Sie symbolisiert sehr eindringlich die Situation in einem multiethnischen Land, ein Körper, der aus russischen, kasachischen, usbekischen, kirgisischen und deutschen Gliedmaßen zusammengenäht ist, die unkoordiniert gegeneinander arbeiten. Ein anderes Highlight ist die Szene mit dem märchenerzählenden Mädchen, das von einer exaltierten amerikanischen Touristin mit Candys zugefüttert wird, daß sie ihre Geschichte nicht zu Ende erzählen kann.
Am Schluß hat sich die Mädchenschar so freigespielt, daß sie ihre eigenen Ideen entwickelt und ihres Regisseurs nicht mehr bedarf– ein Aufbruch in die Emanzipation. Nach der Vorstellung fand wiederum eine Diskussion mit den Darstellern statt. Dabei wurde deutlich, daß die gemeinsame, intensive Arbeit an dem Stück und die anhaltende Erfolgsgeschichte auch den jungen Kasachstanern den Weg zu Selbstvertrauen und Emanzipation gewiesen hat. Beides brauchen sie, wenn das Deutsche Theater in Almaty überleben soll, das nun von ihnen allein getragen wird, denn die älteren Schauspieler sind– gemeinsam mit Hunderttausenden von Rußlanddeutschen– in den Westen abgewandert. Die Bilanz der jungen Leute kann sich sehen lassen. 150 Aufführungen im Jahr, in Szene gesetzt von einem nur 16köpfigen Ensemble, das verdient mehr als Respekt.
Von "herzbewegendem Theater" sprach Dr. Günther Rühle im Programmheft, dies empfand das Bensheimer Publikum genau so. Es darf dem spiritus rector der "Woche junger Schauspieler" dankbar sein, solchen Spürsinn für außerordentliche Talente in den Dienst der Bergsträßer Theaterszene zu stellen.

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