Deutsches Theater Almaty

 

14.07.98 Schwäbische Zeitung Ravensburg
14.07.98 Brief Marie Zimmermann, Tom Stromberg
08.07.98 Thüringer Landeszeitung
08.07.98 Hannoversche Allgemeine Zeitung

Schwäbische Zeitung Ravensburg vom 14. Juli 1998
von Margit Lesemann

Identitätssuche zwischen Tradition und Coca Cola

Ravensburg.
Mit "Polje Tschudess – Glücksfelder" war das Deutsche Theater Almaty (Kasachstan) am Samstag und Sonntag zu Gast am Theater Ravensburg.
Autorin und Regisseurin der deutschsprachigen Komödie: Ingrid Lausund vom Theater Ravensburg. Das Publikum im voll besetzten Haus war begeistert.
"Europa endet nicht am Ural, ohne Rußland – seine Literatur und Musik – wäre Europa leer. Rußland könnte ohne Deutschland weder geistig noch politisch existieren", sagte Lew Kopelew.
An der Schnittstelle west-östlicher Kultur entstand "Polje Tschudess – Glücksfelder". Ein Stück deutsche auswärtige Kulturpolitik. Ingrid Lausund, die Autorin, inszenierte es auf Einladung des Auswärtigen Amtes mit dem Ensemble des deutschen Theaters Almaty. Geschichten vom Alltag nach dem Zusammenbruch des Kommunismus fügen sich zu einer Kette von Tragik und Absurdität.
Sieben völlig verschiedene Frauen (Arina Tschestnowa, Inna Grischmanowskaja, Nelli Neff, Oxana Tjamenko, Natascha Dubs, Larissa Iwlewa, Victoria Kist) stecken die Köpfe zusammen, erzählen von ihrem Schicksal, wie die Menschen zwischen Hoffnung und Aufbegehren, erzwungener Anpassung und innerem Widerstand, zwischen Tradition und Coca Cola versuchen, ihre Identität zu wahren.
Ingrid Lausund nähert sich den Menschen und ihrer Stadt mit liebevollem Einfühlungsvermögen und zugleich mit einem scharfen Blick für das Absurde, das Komische, ihre in das Theaterstück eingebrachten Gefühle und Beobachtungen machen die komplexe Lage deutlich.
Da wird im Krankenhaus nur behandelt, wer das nötige Kleingeld hat. Und den Prozeß gewinnt, wer sich den besseren Anwalt leisten kann. Korruption blüht. Doch es gibt ja Wege, sich dem zu entziehen, man kann nach sozialer Gerechtigkeit schreien, auswandern, sich im Alkohol ertränken oder Selbstmord begehen. Vorausgesetzt in den Apotheken der Stadt sind genügend Tabletten vorhanden.
Der Tod (Viktor Nemtschenko) führt als Conférencier durch die Geschichten. Mühelos gelingt es ihm, einen erfrischenden, sehr persönlichen Kontakt zum Publikum herzustellen. Ingrid Lausund hat für die eher bedrückenden Geschichten ihre Form gefunden. Die Komödie läuft nie Gefahr, im Klamauk zu ersticken. Sie vertraut auf die darstellerischen Fähigkeiten der Schauspielerinnen. Die Regisseurin kannte sie alle, bevor sie das Stück schrieb. Wen wundert es da noch, daß jede einzelne so gut in ihre Rolle paßte. Mit seltener Intensität reflektieren sie die Zerissenheit, die Verwirrung über die eigene Befindlichkeit. Wie passen Frank Sinatra und Schwanensee zusammen? Russische Märchen und Aerobic?
Plumpe Vorurteile über das Rußlandbild der Deutschen werden ebenso vorgeführt (Können die überhaupt mit westlicher Technik umgehen?), wie der Einfall der Amerikaner in Osteuropa, die mit ihren Candies die russische Kultur ersticken. Die Kostüme unterstreichen die Charaktere, das erfreulich schlichte Bühnenbild wirkt durch Lichteffekte.
Die Truppe erntete wahre Begeisterungsstürme. Und das nicht nur in Ravensburg. Auch an den anderen Stationen ihrer Gastspielreise durch Osteuropa und Deutschland wurden sie viel bejubelt. Beim Theatertreffen der deutschsprachigen Schauspielstudenten in München, zu dem sie außer Konkurrenz eingeladen waren, zeigte sich die Jury so bgeistert, daß sie einen Sonderpreis vergab. Erst letzte Woche zierte das Stück die "Theaterformen" in Hannover.

 

Brief, 14. Juli 1998

EXPO 2000 HANNOVER
die Weltausstellung

Sehr geehrter Herr Freitag,
ganz herzlich möchten wir Sie zu der hervorragenden Produktion "Glücksfelder" der Deutschen Theaterakademie Almaty beglückwünschen. Das darstellerische Niveau, auf dem die Schüler der Abschlußklasse spielten, tanzten und sangen sowie die präzise Regie von Ingrid Lausund waren von beeindruckender Qualität. Das Gastpsiel war ein besonderes Erlebnis und einer der Höhepunkte des Festivalprogramms. Die Auszeichnung mit dem Preis des Theatertreffens Deutschsprachiger Schauspielstudenten in München verdient diese Produktion zu recht!

Wir hoffen, daß das Theater Almaty auch in Zukunft mit neuen Projekten in Hannover zu sehen sein wird und sie Ihre Arbeit weiter so erfolgreich fortsetzen können Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie uns über die Pläne des Theaters auf dem Laufenden hielten.
 

Mit freundlichen Grüßen,
 

Marie Zimmermann
Festivalleiterin
Theaterformen

Tom Stromberg
Künstlerischer Leiter
Kultur- und Ereignisprogramm

 


 

Thüringer Landeszeitung vom 8. Juli 1998
von Karin Lange

Blick nach außen Deutsches Theater aus Almaty, Temeswar und Szekszard

Gera. (tlz) "Fangen wir endlich an." "Ja, vielleicht später." Das Leben kann warten. Vielleicht ist es ja längst vorbei. Mit einem kleinen Festival setzte die Altenburg Gera Theater GmbH einen feinen Höhepunkt ans Ende der Spielzeit. .... Sehr gegenwärtige Themen beim Deutschen Theater in Almaty, aus dessen Stück "Glücksfelder" (benannt nach einer Ferseh-Gewinnshow) die Anfangssätze stammen. Sieben junge Frauen, gekleidet zwischen europäisch-modern und abgerissen. Lethargisch. Wozu leben in dieser Zeit, in der Liebe und Menschlichkeit zugrunde gehen an Raffgier, Gleichgültigkeit, Elend, Alkohol? Wozu also aufraffen und wann anfangen mit dem Leben? Vielleicht morgen. Bis ein verführerischer junger Mann kommt, der fortan den Takt angibt und die Puppen singen und tanzen läßt. Nur - er ist der Tod. Kalinka in Filzstiefeln Ein bitteres Stück? Ja. Aber zugleich ein grotesk-komisches. Immer dann, wenn das Stück bei der Darstellung persönlichen Schicksals ins allzu tragische, melodramatische umzukippen droht, hebt die Autorin und Regisseurin Ingrid Lausund die Situation auf. Durch Gesang, durch Tanz (Kalinka bis Chorus Line in Filzstiefeln), durch kabarettistisch-satirische Einlagen. Bringt so das Publikum zu einem Lachen, das erkennend, verstehend und gerade deshalb auch ein wenig bitter ist. Das Publikum in Gera übrigens bei dieser samstäglichen Aufführung kam zu einem großen Teil aus Kasachstan und anderen ehemals sowjetischen Republiken – Aussiedler. Die sich freuten, heimatlich-deutsche Laute zu hören und die noch allzu frisch wissen: Ja, das sind unsere Probleme gewesen und die unserer Freunde noch heute.
 


 

Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 8. Juli 1998
von Ernst Corinth

Höllisch witzig "Glücksfelder" aus Kasachstan bei den Theaterformen

Wenn die Zustände chaotisch sind und die Zukunft alles andere als rosig erscheint, dann hilft nur noch eins: Galgenhumor. Un der kann bekanntlich ganz schön witzig sein. Wenn er aber gleichzeitig auch noch so kraftvoll daherkommt wie in dem Stück "Glücksfelder", das die Absolventen der Deutschen Theaterakademie Almaty aus dem fernen Kasachstan im Ballhof bei den Theaterformen präsentierten, dann ist man doch überrascht. Los geht's mit sieben toten jungen Frauen und einem Überlebenden, dem Tod selbst (Viktor Nemtschenko). Der läßt nun die Puppen tanzen, ruft die Frauen zu kurzen Spielszenen auf und führt wie ein zynischer Fernsehmoderator durch diese abgründige Lebens-Show. Finster ist das, was die Frauen in dem Stück zu berichten haben, bedrückend sind die Umstände ihres seelischen oder körperlichen Todes.
Geschickt hat die deutsche Regisseurin Ingrid Lausund in dem von ihr verfaßten Text Privates mit Öffentlichem gemischt. Dadurch entsteht ein höllisch pessimistischer Reigen, der aber zugleich aberwitzig humorvoll ist. Selbst die in dieser schwarzen Untergangskomödie vorhandenen Appelle an die Zuschauer (in ihrer Heimat), aus der Apathie aufzuwachen, um sich zu wehren gegen Bürokratie und Korruption, kommen unverkrampft daher. Auf hohem darstellerischem Niveau spielte, sang und tanzte das junge Ensemble. Der Leiter der Truppe mit dem Künstlernamen Freitag muß aufpassen, daß die Talente, die soeben beim Treffen deutschsprachiger Schauspielstudenten in München mit einem Sonderpreis ausgezeichnet worden sind, nicht wie viele ihrer Kollegen zuvor das kleine Deutsche Theater in Almaty verlassen, um ihre Zukunft im Westen zu suchen.

 


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