Deutsches Theater Almaty

 

Frankfurter Rundschau vom 20. Juli1998

Der Tod moderiert

Kultur der Rußlanddeutschen in Kasachstan: "Das Deutsche Theater Almaty" zu Gast hierzulande
Von Michael Muhr

Ein kleines Theater, 7000 Kilometer vom heimischen Staats- und Stadttheaterbetrieb entfernt beheimatet, hat in diesen Wochen in Deutschland gezeigt, wozu dieses Medium fähig ist.

Die Rede ist vom Deutschen Theater Almaty, bis vor kurzem Hauptstadt der Republik Kasachstan.

1980 in Temirtau bei Karaganda gegründet, 1990 nach Alma Ata (wie die Stadt vor der Unabhängikkeit hieß) verlegt, war dieses Theater Zentrum der kulturellen Identität der Rußlanddeutschen. Seit 1991 verfügte man über ein eigenes Haus, ein ehemaliges Kino mit 100 Plätzen, bar jeder Bühnentechnik, ohne Werkstättenräume. Der Spielplan reichte von der szenischen Aufarbeitung der rußlanddeutschen Geschichte über deutsche und russische Klassiker bis hin zu Volksstück und Kindertheater. Damit wurde nicht nur die Theatersaison in Almaty bestritten, das Theater unternahm jährlich auch mindestens eine Tournee in die Siedlungsgebiete der Deutschen in Kasachstan und Südsibirien.

Seitdem die Schauspieler der ersten Generation - allesamt in Moskau ausgebildet - ab Beginn der 90er Jahre nach Deutschland ausgereist sind, ebenso wie der Großteil ihres Publikums, schien die Zukunft des Theaters ungewiß.

Einen Hoffnungsschimmer gab es: Bereits 1992 war es dem ehemaligen Schauspieldozenten Werner Vieira Bringel genannt 'Freitag', gelungen, mit viel Organisationsgeschick (und Geldern aus Bonn) an der staatlichen Hochschule in Almaty eine selbständige 'Deutsche Theaterakademie Almaty' einzurichten.

Mittlerweile arbeiten am neuen 'Deutschen Theater Almaty' zirka 25 Absolventen (auch russischer und kasachischer Nationalität) unter hierzulande kaum vorstellbaren Minimalbedingungen (das jährliche Gesamtbudget beträgt derzeit 200 000 Mark!).

Bis 1996 wechselte die Leitung der Akademie und Theater ebenso oft wie das künstlerische Niveau der Arbeit. Im Januar 1996 wurde Freitag - der 1993 im Dissens mit dem damaligen Projektträger, der Spielstatt Ulm, aus der Akademie ausgeschieden war - vom gegenwärtigen Träger dieser Einrichtung, dem Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen, wieder in hauptverantwortlicher Funktion eingesetzt, gleichzeitig vom kasachischen Kulturministerium zum künstlerischen Leiter des Theaters ernannt.

Seitdem wird dort massiv die inhaltliche Erneuerung in Angriff genommen. Statt Deutschlandnostalgie und falsch verstandener Klassikerpflege konzentriert man sich nunmehr auf Projekte, die in der Millionenstadt Almaty auch ein breiteres Publikum interessieren.

Beispielhaft zeigt sich dies an der Inszenierung GLÜCKSFELDER, mit welcher das Theater (respektive die Abschlußklasse der Theaterakademie) im Juli in der Bundesrepublik gastiert. Angeregt durch die gleichnamige russische Fernsehshow stellt die Autorin und Regisseurin Ingrid Lausund die alltäglichen Schicksale sieben junger Frauen vor, die ihr ganz persönliches Lebensspiel auf dem Glücksfeld 'Kasachstan' zu spielen suchen.

Scheinbar Banales wie der tägliche Einkauf, die überall gegenwärtige Korruption, die mängelbeladene Wohnsituation, die katastrophale medizinische Versorgung, aber auch wie man den richtigen Mann findet, wird mit doppelbödigem Humor erzählt und in bester Sketchmanier vorgeführt. Als Moderator fungiert der Tod; durch seine gezielt-variablen Kommentare verstärkt er den improvisatorischen Charakter der GLÜCKSFELDER. Dazwischen finden sich immer wieder eingestreut Lieder, lakonische Statements, flammende Appelle.

Die Grenze zwischen Theater und Leben, sie ist aufgehoben an diesem Abend.

Praktisch ohne Bühnenbild, ohne Kostüme, mit nur wenigen Requisiten, gelingt es den jungen Schauspielern, beimZuschauer eine fast katharische Stimmung auszulösen.

Es ist nachvollziehbar, daß diese Produktion bei dem diesjährigen Treffen deutschsprachiger Schauspielschulen den Sonderpreis der Jury erhalten hat und beim Theaterfestival THEATERFORMEN in Hannover bejubelt wurde.

In seiner Heimat hat sich das Deutsche Theater Almaty mit den GLÜCKSFELDERN einen neuen Stellenwert bei den Zuschauern erobert. Derzeit ist eine Version von König Ubu in Vorbereitung, die in Taschkent entstehen soll.
Man wird auch in Deutschland von diesem bemerkenswerten Ensemble wieder hören.

zurück zu www.ifa.de/DTA/